Rede von OB Thomas Zenker zum Jahrestag des Kriegsbeginns
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder,
wir haben heute einen sehr traurigen Anlass uns hier zu treffen. Seit einem Jahr tobt ein schrecklicher Krieg wenige hundert Kilometer von hier. Die Okkupation ostukrainischer Gebiete durch russische Truppen auf Befehl des russischen Präsidenten Wladimir Putin begann in den frühen Morgenstunden des 24. Februar 2022. Putins unsägliche Erklärung über das WARUM folgte kurz darauf und wird als Lehrstück demagogischer Propaganda in die Geschichte eingehen. Es gibt keinen Zweifel, WER diesen Krieg zu verantworten hat. Die Diskussion darüber, wie der ehemalige Dresdner KGB-Offizier Putin vom vermeintlichen Hoffnungsträger zum Kriegstreiber und Diktator werden konnte, kommt Jahre zu spät und darf keine Entschuldigung dafür sein, welches Leid er heute anrichtet. Er persönlich trägt bereits Verantwortung für Kriege in Tschetschenien und Georgien. Auch in Syrien hat Russland unter seiner Führung einen großen Anteil an der aktuellen Lage.
Wir wissen alle, dass wir heute über den Begriff Kriegsbeginn streiten könnten, denn dieser Krieg hatte deutliche Vorboten – die völkerrechtswidrige Annexion der Krim am 18. März 2014 war lange der traurige Höhepunkt. Seitdem herrscht in der Ostukraine bereits Krieg. Damals hat die westliche Staatengemeinschaft auch auf Initiative der deutschen Bundeskanzlerin nicht eingegriffen, weil die Angst vor einer Eskalation weit verbreitet war. Und weil wir hier in Deutschland unsere erfolgreiche Wirtschaft als Garant für das angenehme Leben nicht gefährden wollten. Wir Deutschen haben sogar zugelassen, dass unsere Regierung unsere Abhängigkeit von billigem russischem Gas noch vergrößert hat. Heute wissen wir, dass unser Land wie kaum ein anderes auf dieser Welt in Putins Falle getappt ist. Der Deal lautete: Billiges Gas für das Stillhalten gegenüber seiner gefährlichen Politik. Das und nichts anderes führt zu den wirtschaftlichen Folgen in Deutschland und Europa, die auch hier auf diesem Markt viel diskutiert werden.
Genau diese Situation war und ist eine schreckliche Gefahr für alle Menschen in den umkämpften Gebieten. Unser bequemes Leben haben wir mit unserer Ignoranz gegenüber Verbrechen erkauft. Dabei wissen wir alle, dass es im Krieg keine Garantie auf Menschlichkeit gibt. Wir wissen, dass absolut nicht sicher ist, ob die unmittelbar Beteiligten, die kämpfenden Soldatinnen und Soldaten, in ihrer Betroffenheit, Hass, Wut und Angst die Regeln einhalten, die sich die Menschheit in der bitteren Erfahrung vieler Kriege mit der Genfer Menschenrechtskonvention gegeben hat. Wir wissen, dass besonders Kinder, Frauen, Alte und Kranke zu den ersten Opfern gehören, dass sie die gefährdetsten Menschen in einem Krieg sind. Deshalb versuchen wir Ihnen heute Schutz zu bieten und Unterstützung zu leisten, auch hier bei uns in Zittau. Ich danke allen, die das ermöglichen und dabei selbst auch große Kraft aufbringen müssen. Ich danke allen Ukrainerinnen und Ukrainern in Zittau, dass sie sich so konstruktiv bei uns einbringen.
Inzwischen sind sehr wahrscheinlich bereits hunderttausende Menschen gestorben, weil ihre Häuser beschossen wurden, weil sie nicht mehr rechtzeitig fliehen konnten, weil sie selbst erschossen wurden, weil sie als Soldatinnen und Soldaten direkt im Kampf waren, weil sie verletzt wurden und keine Hilfe bekamen, weil sie verhungert oder erfroren sind. Ukrainische Ortsnamen Kiew, Tschernihiw, Charkiw und Sumy haben eine neue schrecklichen Beiklang – den von Kriegsverbrechen. Im Gedenken an all diese Opfer, stehen wir heute hier versammelt.
Gleichzeitig wird in Deutschland viel darüber diskutiert, welche Hilfen unser Staat der Ukraine leisten sollte. Es wird viel darüber diskutiert, welche Angst Menschen vor dem Krieg haben und wie viel wir selbst tun können, ohne zur Kriegspartei zu werden. Dabei ist natürlich eine Abwägung zwischen militärischer Strategie und Diplomatie notwendig. Nicht alle Forderungen des ukrainischen Präsidenten können und sollten erfüllt werden, eine Eskalation dieses Krieges auf andere Nationen muss unbedingt vermieden werden. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Bundespolitik gegenüber der eigenen Bevölkerung ihr Handeln zu erklären. Es ist Aufgabe der Bundesregierung mit dem Bundestag über die deutschen Hilfen zu verhandeln. Und das Wichtigste: Es ist gemeinsame Aufgabe der Weltgemeinschaft und besonders der Europäer, diesen Krieg zu beenden und seinen Verursacher zu stoppen. Putin gehört vor ein Kriegsverbrechertribunal.
Ich respektiere jeden Menschen, der Angst vor einer Eskalation hat. Ich habe Verständnis für die, die sich aus Angst wünschen, dass Deutschland mehr Zurückhaltung zeigt. Wer selbst so alt ist, dass er noch die schrecklichen Zeiten des zweiten Weltkriegs vor Augen hat, wer selbst am Existenzminimum lebt und die wirtschaftlichen Folgen des Krieges kaum tragen kann, dem können wir kein Verständnis dafür abverlangen.
Doch in all diesen Diskussionen, besonders gern in politischen Debatten, wird viel zu oft eine Täter-Opfer-Umkehr versucht. Es wird nach Verantwortlichen gesucht, um ausgerechnet Putins Weste nachträglich reinzuwaschen. Es ist unerträglich.
Dabei gibt es gar keinen Zweifel: Dieser Krieg ist von Russland ausgegangen! Der Frieden, den sich alle zurückwünschen, ist von Russland gebrochen worden. Wer jetzt lieber dabei zusehen will, wie ein Land okkupiert wird und von bestimmten Menschen „gereinigt“ werden soll, die der Okkupator festlegt, hat nichts aus der Geschichte gelernt. Wer seinen eigenen Pazifismus als Maßstab für Menschen, die angegriffen werden, anwendet, der ignoriert die bitteren Erfahrungen, für die in der jüngeren Vergangenheit Bosnien und der Kosovo stehen. Wer fordert, dass derjenige, der überfallen wird, sich nicht verteidigen darf, der will weiter auf fremde Kosten die eigene Bequemlichkeit sichern.
Dabei widerspricht dies einer der wichtigsten Lehren aus der Geschichte unseres Landes. Einen Aggressor befriedet man nicht mit Zugeständnissen. Wenn wir das ernst meinen, dürfen wir die Ukraine nicht sich selbst und schon gar nicht Russland überlassen. Wenn wir das ernst meinen, dürfen wir nicht warten, bis auch wir angegriffen werden. Die Abwehr des Angriffs auf die Ukraine im heutigen Europa erfordert auch unser aller Unterstützung - als demokratischer Staat wie als Menschen ganz persönlich.